Virtuelle Welt


“Ohne Zweifel hat die Geschichte des privaten Lebens während des Industrialisierungsprozesses eine gewaltige Intensivierung durch die Ausbreitung der Medien und schneller Verkehrsverbindungen erfahren, die die Bindung an die Nahumgebung des städtischen Viertels gelockert haben, und zwar sowohl in beruflichen [...] als auch in privaten [...] Belangen.” (Rötzer, s75) Statt in ein soziales Netz hineinzuwachsen, muß es selbst geknüpft werden, damit wird der jeweilige Ort (Nahumgebung) immer unwesentlicher. Haus bzw. Wohnung, traditionell - im Gegensatz zum Markt - Ort des Privaten, der verlassen werden mußte, um sich der öffentlichkeit zu stellen, verliert, nach einer Entwicklung hin zur Schnittstelle zwischen Privatem und der öffentlichkeit (Salons, Einladungen, offenes Haus), seineursprüngliche Bedeutung. Funktionen, die andererseits den öffentlichen Raum geprägt haben werden heute schnell und anonym erledigt. Dem Verlust der Privatheit folgt die Abkopplung von der ‘realen’ öffentlichkeit in eine virtuelle. “Privatheit konstituiert sich als Schleuse oder Filter für Informationen und Menschen, die dort eindringen können. Ebenso wie die Stadt in ihrer Gesamtheit ist sie eine künstliche Welt, die sich abschließt, um möglichst nur das zu empfangen, was der Bewohner über die Hausschwelle [...] gelangen lassen will. Eine Tele-öffentlichkeit, in Form von Briefen, Erzählungen, Bildern oder Büchern, war schon immer ein gewichtiger Bestandteil des Privaten. Das Massenmedium Buch und dabei vor allem der Roman bot in diesem Sinne einen ersten Einstieg in die privaten Räume, eine Art mentale Möblierung, mit der man es dort überhaupt nur aushalten konnte, indem man gleichzeitig woanders war. Die vielen Warnungen vor übermäßigem Romankonsum, die in frappierender Weise die ängste vor jedem privat nutzbaren Medium widerspiegeln, weisen darauf hin.” (Rötzer, s77 und s75)

Wenn die getrennten Welten von Telefon, TV, Radio, interaktiven Medien und Computernetzwerken zu einem Medienverbund zusamenwachsen, bietet sich die Möglichkeit einer digital erzeugten, virtuellen Informationsumwelt - einer Tele-Existenz - in der vieles erfahrbar sein wird, zu demman bislang körperlich in der Kommunikations- und Interaktionsumwelt z.B. der Stadt anwesend sein mußte. Der Eintritt in die Tele-Existenz wird zwangsläufig mit einem partiellen Austritt aus der realen Welt verbunden sein. “Die Menschen werden sich immer stärker mit paradoxen Situation konfrontiert sehen, an zwei Orten gleichzeitig anwesend zu sein. [...] Die Orte überlagern sich und schließen einander doch teilweise aus. [...] Die Schnittstellen mit dem virtuellen Raum überlagern direkt die natürlichen Schnittstellen des Körpers mit seiner Nahumgebung”. (s42) “Das Abkappen der räumlichen und körperlichen Verankerung wird technisch vorangetrieben [...]. Telepolis [...] besteht aus Datenumgebungen für einen virtuellen, meist fragmentierten, andererseits technisch erweiterten Körper”. (s43) (vgl. Pierre Lévy: Entflammte Körper)